Wie stark kann der Ölpreis noch steigen?
Die Preise für Rohöl der Sorte Brent haben die Marke von 110 US-Dollar pro Barrel überschritten und notieren auf dem höchsten Stand seit 2014. Zwischen 2012 und 2014 lagen die Höchstpreise zwischen 115 und 117 US-Dollar pro Barrel. Davon sind die Ölpreise inzwischen nicht mehr weit entfernt. Seit Jahresbeginn sind die Preise um 40 % und seit ihrem Tiefstand im Dezember um 70 % gestiegen.
Russland hat die Ukraine angegriffen, und der Westen hat mit scharfen Sanktionen reagiert. Das könnte dazu führen, dass der Ölfluss in jene Länder völlig zum Erliegen kommt, die diesen Krieg verurteilen und versuchen, die Ukraine zu unterstützen.
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Konto eröffnen DEMO TESTEN xStation App herunterladen xStation App herunterladenWie wichtig ist Russland für den globalen Ölmarkt?
Russland ist einer der größten Ölproduzenten der Welt. Das Land fördert rund 10 Millionen Barrel pro Tag (mbd), wovon 5 Millionen Barrel pro Tag (mbd) direkt in den Export gehen. Etwa 3 Millionen Barrel pro Tag (mbd) wiederum gehen in die Produktion von Erdölerzeugnissen. Die Länder der Europäischen Union importieren ca. 2,5 mbd Rohöl und ca. 1,3 mbd Erdölerzeugnisse. Der Rest des Öls wird von China, Indien, anderen asiatischen Ländern und einigen südamerikanischen Ländern abgenommen. Das mag im Kontext des gesamten globalen Ölmarktes, der vor der Pandemie einen Wert von 100 Millionen Barrel pro Tag hatte, nicht viel erscheinen. Aufgrund der logistischen Verbindungen und des Gleichgewichts auf dem Ölmarkt kann jedoch selbst ein Rückgang des Angebots um 5 Millionen Barrel pro Tag enorme Auswirkungen auf die Ölpreise haben.
Warum könnten die russischen Exporte wegfallen?
In diesem Fall haben wir es mit zwei Seiten der Medaille zu tun. Russland ist in den Konflikt mit der Ukraine verwickelt und wird von fast der ganzen Welt kritisiert. Jene Kritiker verhängen verschiedene Arten von Sanktionen gegen Russland. Theoretisch könnte Russland den Öl- oder Gashahn nach Europa zudrehen.
Das ist aber unwahrscheinlich. Europa ist der größte Abnehmer von russischem Öl, wobei sich die gesamten Ausfuhren des "schwarzen Goldes" im vergangenen Jahr auf umgerechnet über 100 Milliarden Dollar beliefen.
Der Westen könnte sich jedoch für ein Importverbot entscheiden. Kanada kündigte die Aussetzung der Einfuhr von Erdöl und Erdölprodukten aus Russland an. Großbritannien verbietet das Anlegen russischer Schiffe und Tanker in seinen Häfen. Europa ist von russischem Öl abhängig, aber die Importe finanzieren das Putin-Regime mit bis zu 350 Millionen Euro pro Tag, wie viele EU-Experten betonen.
Die Ukraine fordert ein Embargo gegen russisches Öl und Gas. Allerdings ist bekannt, dass dies sehr schwer umzusetzen sein wird. Finnland bezieht 80 % seiner Ölimporte aus Russland. In Polen sind es fast 60 %, in der Slowakei über 70 %. Auf Deutschland und die Niederlande entfallen 30 % bzw. 23 %. Nominal gesehen sind diese Länder jedoch die größten Importeure russischen Öls in Europa.
Könnte russisches Öl tatsächlich verschwinden und damit den Markt destabilisieren?
Derzeit sind die Ölexporte in die EU-Länder über das Gebiet von Belarus am stärksten gefährdet. Täglich werden etwa 750.000 Barrel durch die Druschba-Pipeline geschickt. Im Gegenzug gehen 250.000 Barrel pro Tag durch die Ukraine in die Tschechische Republik, die Slowakei und Ungarn. Für Russland wird es schwierig sein, dieses Öl auf dem Seeweg zu transportieren. 2019 wurden die Importe wegen technischer Probleme für mehrere Monate gestoppt.
Russland verfügt lediglich über 100 große Tanker bei einem weltweiten Tankerbestand von über 2.000. Maersk weigert sich bereits, russisches Öl zu transportieren, und die Marktpreise für russisches Öl in der Ostsee steigen um ein Vielfaches, von etwa 30.000 USD pro Tag auf sogar 200.000 USD pro Tag. Die internationalen Marktteilnehmer zögern jedoch aufgrund möglicher Sanktionen, russisches Öl zu kaufen, selbst bei einem Preisnachlass von 20 USD pro Barrel im Vergleich zu Brent-Rohöl.
China importiert täglich etwa 1,5 Millionen Barrel aus Russland, die Hälfte davon über die ESPO-Pipeline, die mit maximaler Durchflusskapazität arbeitet. Und man sollte nicht vergessen, dass China in der Vergangenheit vom Ausverkauf von Öl aus sanktionierten Ländern wie Iran und Venezuela profitiert hat. Selbst jetzt importiert China trotz der anhaltenden US-Sanktionen über 700.000 Barrel pro Tag aus dem Iran.
Theoretisch kann Russland mehr nach China, Indien, Thailand oder sogar Kuba und Venezuela liefern. Dies wird jedoch nicht ausreichen, um alle europäischen Einfuhren zu ersetzen. Es ist erwähnenswert, dass russisches Öl sogar auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nach Europa floss. Die Exporte nach Deutschland wurden nur während des Zweiten Weltkriegs eingestellt, als die Kämpfe mit den Sowjets begannen.
Welche Möglichkeiten hat der Westen?
Es gibt mehrere Optionen, die den Ölmarkt wieder stabilisieren können:
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Die IEA-Länder haben beschlossen, 60 Millionen Barrel aus den strategischen Reserven freizugeben. Geht man davon aus, dass diese Freigabe in den nächsten zwei Monaten erfolgt, ergeben sich daraus zusätzliche 2 Millionen Barrel pro Tag.
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Die Vereinigten Staaten können ihre Schieferölproduktion (Fracking) erhöhen und dieses Öl dem europäischen Markt zur Verfügung stellen.
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China und Indien können auf strategische Käufe zu hohen Preisen verzichten und das kontrahierte Öl nach Europa umleiten.
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Die Vereinigten Staaten können schnell ein Abkommen mit dem Iran unterzeichnen. Der Iran verfügt über eine große Tankerflotte und ist in der Lage, seine Exporte schnell wieder auf ein Niveau von 0,5-1,5 Millionen Barrel pro Tag zu bringen.
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Die Vereinigten Staaten könnten noch mehr ihres Öls verschiffen, wenn die Keystone-XL-Ölpipeline mit Kanada in Betrieb genommen wird.
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Die OPEC+ könnte beschließen, die Produktion schneller wieder aufzunehmen. Die OPEC selbst hat theoretisch freie Produktionskapazitäten von über 5 Millionen Barrel pro Tag.
Könnte der Ölpreis auf 150 oder sogar 200 Dollar pro Barrel ansteigen?
Solche Thesen werden bereits von der Saxo Bank und der Bank of America vertreten. Bloomberg weist auf ein wachsendes Interesse an Optionen auf diesem Niveau hin, auch wenn sie derzeit noch relativ billig sind. Russland ist ein wichtiger Akteur auf dem Markt, aber die Welt kommt auch ohne Russland aus, und die jüngsten Ereignisse in der Ukraine haben gezeigt, dass dies der richtige Weg ist. Die derzeitige Situation unterscheidet sich von der, die wir 2008 erlebt haben. Das Angebot kann erhöht werden. Aber gleichzeitig können vorübergehende Probleme mit der Logistik zu einem Anstieg der Preise gegenüber dem derzeitigen Niveau führen. Es ist möglich, dass der Preis über 120 US-Dollar pro Barrel steigt, und auch die 150-Dollar-Marke scheint nicht abstrakt. Andererseits können diese Niveaus bereits zu einer totalen Zerstörung der Nachfrage führen, wie es 2008 der Fall war, und eine weitere schwere Krise auf den globalen Märkten auslösen.
Keine der beiden Seiten, auch nicht die größten Ölexporteure, will einen starken Preisanstieg. Es ist kaum zu erwarten, dass der Konflikt in naher Zukunft deeskalieren wird, aber die hohen Preise sind weitgehend durch die Sorge um die Aussetzung der Lieferungen aus Russland beeinflusst. Die Bezahlung von russischem Öl ist nach wie vor möglich, obwohl viele Marktteilnehmer es vorziehen, Öl aus anderen Quellen zu beziehen. Sollte das Worst-Case-Szenario nicht eintreten, könnte es noch in diesem Jahr zu einem Überangebot auf dem Ölmarkt kommen, was zu einer Preisstabilisierung führen könnte.
Maximilian Wienke, CFTe
Marktanalyst bei XTB
maximilian.wienke@xtb.de
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